26. Zwischenruf: Erich Marks im Gespräch mit Stefan Daniel

Stefan Daniel
Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention
Erich Marks
DPT – Deutscher Präventionstag

Heute ist Donnerstag, der 4. Juni 2020. Ich bin Erich Marks und als Geschäftsführer des Deutschen Präventionstages freue ich mich über Ihr Interesse an unseren Zwischenrufen zur Prävention in Zeiten der Corona-Epidemie und von COVID-19.

Zum heutigen Zwischenruf begrüße ich am Telefon Stefan Daniel, den Geschäftsführer der Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention, kurz DFK. Herr Daniel ist von Hause aus Jurist und war zunächst als Staatsanwalt tätig. Nach anschließenden Stationen bei der Generalstaatsanwaltschaft Köln und in der Strafrechtsabteilung des Bundesministeriums der Justiz ist er seit jetzt mehr als zehn Jahren in verantwortlicher Position im DFK tätig und leitet dort die Geschäftsstelle.
Herr Daniel, ich begrüße Sie herzlich, danke Ihnen für Ihre Bereitschaft zu diesem Zwischenruf und darf Sie zunächst fragen, welche Herausforderungen für die Gewalt- und Präventionsarbeit Ihnen vor dem Hintergrund der Corona-Krise besonders wichtig erscheinen.
Es sind ja jetzt schon weit mehr als 20 Zwischenrufe zusammengekommen, die sich, beginnend mit den Ausführungen von Professor Pfeiffer, dessen Prognosen zur häuslichen Gewalt sich laut der jüngst veröffentlichten Studie der TU München leider bewahrheitet haben, in sehr vielfältiger Weise und aus ganz unterschiedlichen Blickrichtungen mit den Herausforderungen beschäftigen, vor die uns die Corona-Pandemie jetzt schon seit längerer Zeit stellt.
Diese Herausforderungen sind äußerst vielfältig, und ich möchte an dieser Stelle ganz bewusst nicht die x-te Detailherausforderung hinzufügen.
Wichtiger erscheint mir die die bisherigen Zwischenrufe zusammenfassende Feststellung, dass wir derzeit – und das noch verhältnismäßig lange – in einer Zeit vielfacher Unsicherheiten leben. Für uns als Präventionsakteure folgt daraus aus meiner Sicht vor allem eines, nämlich dass wir einen kühlen Kopf behalten und, auf Fakten und Evidenzen beruhend, unsere präventive Arbeit fortsetzen. Natürlich gerne mit noch größerem, den Herausforderungen der aktuellen Situation geschuldeten Elan.
Sie, Herr Marks, haben das am 19. März in den täglichen DPT-News ja bereits trefflich mit der Abwandlung eines bekannten Posterspruches zum Ausdruck gebracht, nämlich: „Keep calm and carry on preventing“.
Mit keep calm ist natürlich nicht die Botschaft gemeint, dass alles nicht so schlimm ist und letztlich kein Grund zur Besorgnis besteht. Verschwörungstheoretikern, die dies behaupten, ist deutlich entgegenzutreten. Die Pandemie ist und bleibt eine ernst zu nehmende Bedrohung. Sie hat national wie international zu gewaltigen Herausforderungen geführt und wird dies aus weiterhin tun. Zu Herausforderungen für den Staat. Zu Herausforderungen für die Wirtschaft. Und – dies ist aus präventiver Sicht besonders wichtig – zu Herausforderungen für die Menschen, insbesondere für die Schwächeren.
Keep calm bedeutet nach meiner Überzeugung, die präventiven Bedarfe mit dem bereits erwähnten kühlen Kopf zu erheben und daraufhin wohlüberlegte Präventionsmaßnahmen zu entwickeln, umzusetzen und zu fördern.
Bei der Entwicklung präventiver Maßnahmen ist mir aktuell übrigens alles andere als bange. Es gibt zahlreiche hervorragende Akteure, die sich, übrigens nicht nur in der aktuellen Krisenzeit, vorbildlich engagieren und Angebote bereitstellen. Sei es die Polizeiliche Kriminalprävention, die zahlreiche Aufklärungskampagnen zu den aktuellen Corona-Betrugsmaschen entwickelt hat. Oder seien es die vielfältigen Online-Hilfsangebote zivilgesellschaftlicher oder staatlicher Akteure, die im Netz verfügbar sind. Der Deutsche Präventionstag verweist ja, ebenso wie beispielsweise die Website unserer Stiftung https://www.kriminalpraevention.de/hinweise-corona.html, auf zahlreiche dieser „Krisen“-Angebote.

Kann man sagen, die Corona-Krise bestimmt alle Tagesordnungen?
Wichtig erscheint mir jedoch, dass es uns gelingen muss, unabhängig von Krisenzeiten – und auch unabhängig von bestimmten Deliktstypen – dasjenige in den Blick zu nehmen, was man, gerade jetzt, recht treffend mit dem Begriff Krisenfestigkeit beschreiben kann: Wir müssen den Vulnerablen helfen. Aus kriminalpräventiver Sicht müssen wir konkret insbesondere Familien, Kinder und Jugendliche stärken. Wir müssen junge Menschen in ihrer Entwicklung unterstützen, sie mit entsprechenden Ressourcen ausstatten und sie so, nicht nur in den Zeiten der Krise, möglichst resilient machen.
Gestatten Sie mir, dass ich deshalb auf genau diesen Themenschwerpunkt hinweise, der die Arbeit unserer Stiftung DFK schon seit Beginn an begleitet:
Entwicklungsförderung und Gewaltprävention, verstanden als frühe Stärkung allgemeiner Lebenskompetenzen und persönlicher Ressourcen, hilft, Menschen krisenfest zu machen. Und zwar unabhängig davon, wo konkret die nächste Bedrohung lauert. Die Erhöhung von Schutzfaktoren bei gleichzeitiger Reduzierung von Risikofaktoren führt zu einer Stabilisierung der Persönlichkeit und ist damit hilfreich für zahlreiche Belastungssituationen. Eine universelle Entwicklungsförderung ist insbesondere eine Chance, positiven Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung derjenigen jungen Menschen zu nehmen, deren familiäre Ressourcen begrenzt sind. Frühe Präventionsansätze fördern und stärken alle Kinder, die daran teilnehmen. Wir als Stiftung treten seit jeher – und in letzter Zeit verstärkt – für diesen universellen Präventionsansatz ein. Wir sind davon überzeugt, dass kluge, evidenzbasierte und an die Bedarfe junger Menschen angepasste Maßnahmen dazu führen, dass zahlreichen negativen Entwicklungen zuvorgekommen werden kann. Nach dem lateinischen Wortstamm heißt prävenieren genau dieses, nämlich „zuvorkommen“. Dieses Wort umfasst viel weitreichendere Herausforderungen als sie gemeinhin unter Prävention im Sinne von „Vorbeugung“ verstanden und umgesetzt werden. Deshalb bedarf es aus meiner Sicht im verstärkten Maße früher, universeller und entwicklungsfördernder Präventionsarbeit, auch und insbesondere im Rahmen von Regelangeboten.

Was ist das zentrale Anliegen Ihres heutigen Zwischenrufes?
Viele Phänomene, denen es präventiv zu begegnen gilt, fallen nicht vom Himmel. Sie haben ihre Ursache im Aufwachsen der Menschen. Diese Individualentwicklung muss bestmöglich begleitet werden. Durch frühzeitige, entwicklungsfördernde Unterstützungsangebote. Hierdurch werden junge Menschen mit dem nötigen sozialen Rüstzeug ausgestattet und sie lernen, nicht nur, aber insbesondere in Zeiten einer Krise mit eigenen Ängsten und Sorgen vernünftig umzugehen und den hiermit verbundenen Stress, auch beispielsweise später in ihrer Rolle als Eltern, angemessen zu bewältigen. Wir als Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention unterstützen Projektträger, die genau diesen Präventionsansatz im Blick haben.
Und gestatten Sie mir ein zweites Anliegen, das ich kurz und knapp mit der vielleicht schon ein wenig abgegriffen klingenden Floskel, dass wir die Krise auch als Chance begreifen sollten, bezeichnen möchte. Umbrüche dienen stets auch der Selbstreflexion. Das heißt für unsere Präventionsarbeit, Gewohnheiten zu hinterfragen. Also: Wie und in welchem Umfang kann präventive Arbeit angepasst oder neu gedacht werden? Hier haben wir in den letzten Wochen auf anderen Gebieten viel gelernt, ich nenne nur das Stichwort Videokonferenz. Ich denke, dass wir, wenngleich der unmittelbare Kontakt zu unserer Zielgruppe auch künftig unverzichtbar ist, digitale Angebote deutlich ausbauen sollten. So könnten beispielsweise Qualifizierungsmaßnahmen für Fachkräfte im Bereich der Prävention leichter zugänglich gemacht und so ein Stück weit selbstverständlicher werden. Auch auf diesem Gebiet entwickeln wir als Stiftung DFK derzeit Ideen und fördern Projektpartner, die sich um diese Fragen kümmern.

Abschließend bitte ich Sie um eine kurze zusammenfassende Aussage zu Ihrem heutigen Anliegen:
Angst und hektisch vorgetragene Lösungsvorschläge sind, nicht nur in Krisenzeiten, ein schlechter Ratgeber. Wir sollten mit dem bereits erwähnten kühlen Kopf an die präventiven Herausforderungen herangehen, vor denen wir in diesen Wochen und Monaten zweifelsohne stehen. Wir müssen, auch mit Blick auf die „nächste“ Krise, Bedingungen schaffen, unter denen junge Menschen zu starken Persönlichkeiten heranwachsen. Auf diesem Wege lernen sie zunehmend, auch durch schwere Zeiten zu gehen.

Herr Daniel, haben Sie herzlichen Dank für diesen Zwischenruf und bleiben Sie gesund.

Stiftung Deutsches Forum Kriminalprävention (DFK)


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