Am 30. & 31. Mai 2011 war die Weser-Ems-Halle Oldenburg in Niedersachsen Zentrum des 16. Jahreskongresses. Unter der Schirmherrschaft des damaligen Ministerpräsidenten David McAllister ging es um das Schwerpunktthema „Neue Medienwelten – Herausforderungen für die Kriminalprävention?“ Organisiert durch den Präventionsrat Oldenburg wurden im gesamten Stadtgebiet vielfältige öffentliche Zusatzveranstaltungen angeboten, getreu dem Motto „Eine ganze Stadt macht Prävention“.
Deutscher Präventionstag und Veranstaltungspartner
Oldenburger Erklärung des 16. Deutschen Präventionstages
Als Rückblick wird die Kongresserklärung des 16. Deutschen Präventionstages hier dargestellt. Die Oldenburger Erklärung fasst die zentralen Diskussionspunkte und Forderungen der Veranstaltung prägnant zusammen.
Der 16. DPT befasste sich mit den neuen Medien, den digitalen Welten, die seit dem Ausgang des 20. Jahrhunderts das gesellschaftliche Leben und das Leben der Einzelnen grundlegend verändert haben. Die digitalen Medien, allen voran das Internet und das Handy, sind selbstverständlich geworden und aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Sie beinhalten neben ihren unbestrittenen positiven Anwendungsmöglichkeiten auch problematische Bereiche, Risiken und Gefahren bis hin zur Kriminalität.
Auf der Basis des Gutachtens „Neue Medienwelten – Herausforderungen für die Kriminalprävention“ von Dr. Wiebke Steffen erklärten der Deutsche Präventionstag und seine Veranstaltungspartner DBH-Bildungswerk, Landespräventionsrat Niedersachsen (LPR), Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK), Präventionsrat Oldenburg (PRO), Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention (DFK), WEISSER RING am 31. Mai 2011:
„Die „digitale Revolution“ bringt nicht nur große Potenziale, sondern auch Gefahren und Risiken mit sich
Wie in der analogen Welt gibt es auch in der digitalen Welt Regelverletzungen und Normverstöße bis hin zur Kriminalität. Grundsätzlich gibt es alle Kriminalitätsgefahren, die außerhalb des Internets bestehen, nun auch im Internet. Dazu kommen problematische, in irgendeiner Form schädliche Verhaltensweisen, die durch das Internet erst ermöglicht ggf. auch gefördert werden. Außerdem können sie durch die für das Internet typischen Rahmenbedingungen an Brisanz gewinnen. Zu nennen sind hier etwa die Automatisierbarkeit, die räumliche Entgrenzung, die Anonymität, die schnelle Verbreitung der Inhalte, ihre Kopierbarkeit und Weiterverbreitung, die (dauerhafte) Speicherung („das Netz vergisst nichts“). Insgesamt gilt das Gefährdungs- und Schadenspotenzial der Internet-Kriminalität als hoch mit deutlich zunehmender Tendenz, auch weil sich die Täter veränderten technischen Gegebenheiten sehr schnell anpassen und enorme Innovationsfähigkeiten zeigen.
- Der Deutsche Präventionstag fordert nachdrücklich, das Internet nicht zum rechtsfreien Raum werden zu lassen. Es gilt, eine Balance zwischen dem Recht auf Informations- und Meinungsfreiheit und den berechtigten Schutzbedürfnissen der Internetnutzer zu finden. Gerade weil ein großes wirtschaftliches und politisches Interesse an der Nutzung digitaler Medien und dem freien, ungehinderten Zugang zum Internet besteht, müssen die Internetnutzer darauf bauen können, dass der Rechtsstaat durch Rahmenbedingungen die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme sicherstellt.
- Davon unabhängig gilt es, weiterhin alle Anstrengungen zu unternehmen, die Internetnutzer – und zwar alle Anwendergruppen – über die möglichen Folgen der zunehmenden Online-Kriminalität und hier insbesondere über die des Identitätsdiebstahls aufzuklären, sie noch stärker für die Risiken zu sensibilisieren sowie sinnvolle Schutzmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Wegen der – gerade auch in zeitlicher Hinsicht – begrenzten Wirkung (sicherheits)technischer Ansätze und Maßnahmen muss das menschliche Verhalten als wichtiger kriminogener Faktor in Zusammenhang mit Delinquenz im Internet in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt werden.
Wenig gesichertes Wissen zu den Risiken und Gefahren der digitalen Medien
Die Warnungen vor den nahezu ungebremsten Anreizen und Möglichkeiten des Internets in Hinblick auf seine missbräuchliche Nutzung stehen in deutlichem Widerspruch zum tatsächlichen Wissen über die mit dem Internet verbundenen Gefahren und Risiken. Das liegt zum einen an dem hier – im Vergleich zur „analogen“ Kriminalität – möglicherweise noch größeren Dunkelfeld. Zum andern liegt es aber auch an der Neuheit vieler Gefahren im Sinne einer allgemeinen – oder auch spezifischen, etwa altersspezifischen – Bedrohung sowie der rasanten Entwicklung der digitalen Medien und den schnellen Veränderungen im Nutzungs- und Nutzerverhalten. Viele Medienangebote sind erst eine viel zu kurze Zeit auf dem „Markt“, um sie in Hinblick auf ihre mittel- oder gar langfristige Wirkung beurteilen zu können. Es fehlen breit angelegte, repräsentative kriminologische Studien ebenso wie langfristig angelegte Panel- und Längsschnittuntersuchungen. Die Aufgeregtheit der Debatte steht in keinem Verhältnis zum Wissen über die Risiken und deren mögliche (dauerhafte) Auswirkungen.
- Der Deutsche Präventionstag hält es für äußerst wichtig, sowohl breit angelegte repräsentative kriminologische Studien als auch langfristig angelegte Panel- und Längsschnittuntersuchungen durchzuführen. Eine evidenzbasierte Kriminalpolitik erfordert eine hinreichend verlässliche Datengrundlage, die es dringend zu schaffen gilt. Dabei ist zu prüfen, ob die Untersuchung der neuen Medien nicht auch neue (empirische) Methoden und Vorgehensweisen erforderlich macht.
Hohe Aufmerksamkeit findet das Internet als Risiko für die Heranwachsenden
In der öffentlichen Wahrnehmung stellt das Internet vor allem für die Heranwachsenden ein großes Risiko dar. Zu den Risiken zählen vor allem ein allzu sorgloser Umgang mit den eigenen Daten, Auswirkungen von Gewaltdarstellungen und insbesondere von Computerspielen auf das eigene Verhalten, übermäßiger Medienkonsum bis hin zur Computersucht, Konfrontation mit Pornographie und sexueller Belästigung, politisch motivierte Kriminalität und Extremismus, Cybermobbing und Cyberbullying, aber auch Verletzung von Persönlichkeits- und Urheberrechten. Allerdings liegen bislang kaum verlässliche Angaben darüber vor, wie viele Heranwachsende tatsächlich schon mit problematischen Inhalten in Berührung gekommen sind und welche Auswirkungen diese Inhalte auf sie haben (oder auch nur haben könnten) bzw. ob, wie häufig und wie lange die jungen Menschen riskantes, zu sorgloses oder sogar strafrechtlich relevantes Verhalten zeigen.
- Der Deutsche Präventionstag warnt davor, beim „digitalen-Medien-Risikodiskurs“ die Fallstricke und Argumente des „herkömmlichen“ medialen und kriminalpolitischen Diskurses über Jugendkriminalität und Jugendgefährdung zu wiederholen. Es wäre falsch hinsichtlich der digitalen Medien Probleme vor allem bei „der Jugend“ zu vermuten, sie für normloser und bedenkenloser zu halten als die Erwachsenengeneration und zu befürchten, „die könnten so bleiben, wie sie jetzt sind“.
- Der Deutsche Präventionstag weist nachdrücklich darauf hin, dass die meisten Jugendlichen offensichtlich vernünftig mit dem Computer umgehen können und durchaus die Balance zu anderen Aktivitäten finden – so wie sie auch in der analogen Welt im allgemeinen die Herausforderungen ohne größere Auffälligkeiten bewältigen und gut ins Leben finden (Wiesbadener Erklärung des 12. DPT). Es gibt für den Deutschen Präventionstag keinen Grund anzunehmen, dass die „digitale“ Jugendkriminalität und Jugendgefährdung anderen Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten unterliegt als die „analoge“ Jugendkriminalität. Deshalb sollte sie hier wie dort mit „Augenmaß“ betrachtet und beurteilt werden.
- Der Deutsche Präventionstag hält es gleichwohl für erforderlich, die Sorgen um die Medienkompetenz der jungen Generation, die Ängste vor Risiken und Gefahren im Netz sowie das Misstrauen gegenüber ihrem „digitalen“ Verhalten aufzugreifen. Dringend erforderlich sind möglichst langfristig angelegte kriminologische Untersuchungen zum Medien- und Kommunikationsverhalten der Heranwachsenden. Besonders berücksichtigt werden sollten dabei die Aspekte „Nutzungsmotive“ und „individuelle Wahrnehmungsprozesse“.
Kriminalprävention in der digitalen Welt: Menschen befähigen, Schutzmechanismen schaffen
Unter der Voraussetzung, dass auch in der digitalen Welt das entscheidende – konstitutive – Merkmal von Kriminalprävention gegeben ist, ein klares Verständnis darüber zu haben, was als „erlaubt – nicht erlaubt“ bzw. „erwünscht – nicht erwünscht“ gelten soll – die digitale Welt also nicht für sich in Anspruch nimmt, ein rechts- und regelungsfreier Raum zu sein –, kann Kriminalprävention in der digitalen Welt vor allem drei Strategien verfolgen, um die Gefahren und Risiken zu verhindern bzw. zu vermindern: Kriminalprävention durch rechtliche sowie (sicherheits)technische Regelungen, Maßnahmen und Empfehlungen; Kriminalprävention durch Jugendmedienschutz; Kriminalprävention durch Medienkompetenz.
- Auch wenn die Internetnutzer und ihr Verhalten für Wirkung und Wirksamkeit kriminalpräventiver Anstrengungen und Maßnahmen von entscheidender Bedeutung sind, fordert der Deutsche Präventionstag nachdrücklich, die Kriminalprävention durch rechtliche, sowie (sicherheits)technische Maßnahmen und Empfehlungen zu verstärken und nicht zu minimieren. Politik wie Wirtschaft müssen sich ihrer Verantwortung für den Schutz der Anwender, für ihr Vertrauen in die Sicherheit des Netzes, ihrer Persönlichkeitsrechte und ihrer Daten bewusst sein und entsprechend handeln. Dem Staat kommt die Aufgabe zu, das Internet als freiheitliches Medium zu schützen; die Bürger müssen darauf bauen können, dass der Rechtsstaat durch Rahmenbedingungen die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme sicherstellt. Insbesondere sind auch die Anstrengungen der polizeilichen Kriminalprävention auszubauen und zu verstärken mit dem Ziel, die Sicherheit im Umgang mit den neuen Medien zu verbessern, über Gefahren und Straftaten zu informieren sowie mit anderen Akteuren auf diesem Feld zu kooperieren.
- Der Deutsche Präventionstag hält den in Deutschland vorhandenen gesetzlichen Jugendmedienschutz für grundsätzlich geeignet, um problematische Inhalte von Kindern und Jugendlichen fernzuhalten – gerade vor dem Hintergrund, dass die Einflussnahme vieler Eltern auf den Medienumgang ihrer Kinder abnimmt bzw. sich nicht wenige Eltern tendenziell aus der Verantwortung verabschiedet haben, weil sie hinsichtlich des Umgangs mit den neuen Medien nicht über das erforderliche Wissen verfügen. Auch deshalb hält es der Deutsche Präventionstag für erforderlich, die Voraussetzungen für ein Risikomanagement im Jugendschutz weiter zu verbessern.
- Der Deutsche Präventionstag begrüßt alle Anstrengungen, die Medienkompetenz aller Nutzer digitaler Medien weiter zu verbessern mit dem Ziel, die Chancen der digitalen Medien nutzen und ihre Risiken vermeiden zu können. Hinsichtlich der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen fordert der Deutsche Präventionstag, ihren medialen Nutzungs- und Ausdrucksformen Wertschätzung entgegen zu bringen, anzuerkennen, dass sie den Medien keineswegs hilflos ausgeliefert sind und den Freiraum der digitalen Welt brauchen. Gleichwohl brauchen sie auch Unterstützung. Da nicht davon ausgegangen werden darf, dass diese Unterstützung in allen Fällen von den Eltern erbracht werden kann, ist insbesondere die Schule gefordert, Medienkompetenz zu vermitteln. Der Deutsche Präventionstag fordert, Schulen und Lehrkräfte entsprechend zu befähigen und den Prozess der Integration digitaler Medien in die schulische Alltagspraxis evaluierend zu begleiten.
Hinsichtlich der Herausforderungen für die Kriminalprävention verweist der 16. Deutsche Präventionstag auf die Verhandlungen des 12. , 13., 14. und 15. Deutschen Präventionstages, die Forderungen und Appelle der „Wiesbadener Erklärung“, der „Leipziger Erklärung“, der „Hannoveraner Erklärung“ sowie der „Berliner Erklärung“. Ihre Aktualität und Dringlichkeit bestehen unvermindert fort.
Oldenburg, 31. Mai 2011“