Gewalt und Radikalität - Aktuelle Herausforderungen für die Prävention
11/12 Juni 2018
  • 3.138 Kongressteilnehmende und Besucher*innen davon 170 aus 54 Staaten
  • 241 Referierende
  • Präventionsrede 2018 „Gewalt und Radikalität, heute und gestern“ von Prof. Dr. Ute Frevert
  • 12. Annual International Forum (AIF)
  • 1. Prevention-Slam
  • 165 Vortragsbeiträge (Vorträge, Projektspots, Presentation on Demand)
  • 174 Ausstellungsbeiträge (Infostände, Infomobile, Sonderausstellungen, Poster)
  • Bühnen- und Kinderuni-Programm
  • 11 Begleitveranstaltungen
Impressionsfilm PDF-Download ProgrammPDF-Download Katalog
Hinterlasse einen Kommentar

 

Mit dem Thema „Gewalt und Radikalität – Aktuelle Herausforderungen für die Prävention“ befasste sich der Deutsche Präventionstag am 11. & 12. Juni 2018 in Dresden. Die Veranstaltung im Internationalen Congress Center (ICD) stand unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen, Michael Kretschmer. Bei der Abendveranstaltung im DDV-Stadion Dresden wurde auch das 10jährige Jubiläum des Landespräventionsrates Sachsen gefeiert.

25 Jahre Deutscher Präventionstag
Ein Beitrag von Sven Forkert

Diplom-Ingenieur für Medientechnik (FH), seit fast 20 Jahren im Feld der Prävention tätig und seit dem Jahr 2010 Geschäftsführer des Landespräventionsrates Sachsen (LPR SN)

Der DPT als europäischer Kongress hat sich über die Jahre zu einer absoluten Institution entwickelt. Die gemeinsame Ausrichtung des DPT23 im Juni 2018 durch die DPT GmbH mit all ihren Partnern und uns, dem Landespräventionsrat Sachsen (LPR SN), war ein großartiges Ereignis. So war es möglich, der Prävention im Freistaat Sachsen bei den Präventionsakteuren, in der Politik und in der Öffentlichkeit sehr große Aufmerksamkeit zu geben. Insgesamt über 3.000 Teilnehmende und besonders viele internationale Gäste setzten ein quantitatives Signal. Das Thema – Gewalt und Radikalität – nicht zufällig gewählt, konnte in seiner Breite wissenschaftlich und präventions-praktisch betrachtet werden.

Rolle der Abendveranstaltung

Grundsätzlich gehört eine gute Abendveranstaltung zu einem gelungenen DPT einfach dazu. Zwei anstrengende und fachlich fundierte Kongresstage können so miteinander verbunden werden. Und ich spreche jetzt von einer Zeit vor der Corona-Pandemie: unkomplizierte persönliche Gespräche, Kontakte knüpfen und sich vernetzen. Dies scheint etwas sehr nach Entspannung und Unterhaltung zu klingen, bringt jedoch durch die entstehenden oder sich festigenden Verbindungen am Ende der Prävention etwas.

In Dresden hatten wir das Glück, dass sich die Landeshauptstadt massiv in die Abendveranstaltung einbrachte und in das Fußball-Stadion von Dynamo Dresden einlud. Dieser Einladung folgten unglaubliche fast 2.000 Kongressteilnehmende, wurden durch Oberbürgermeister Hilbert und Staatsministerin Klepsch begrüßt, genossen bei bestem Wetter die Atmosphäre dieses besonderen Ortes sowie neben tollen Speisen und Getränken auch Sachsens beste Ska- & Reggaeband „Yellow Umbrella“. So konnte die Dresdner DPT23-Abendveranstaltung sich in die Reihe der besonders in Erinnerung bleibenden einreihen, wie bspw. Frankfurt/Main, Leipzig, Hannover, u.a. Und wir konnten das 10-jährige Jubiläum und den 4. LandesPräventionstag Sachsen (LPT4) so perfekt mit dem DPT23 und der Abendveranstaltung verbinden.

25 Jahre Gewalt- und Kriminalprävention

Ich kann mir mit meiner Vita kein Gesamturteil erlauben. Jedoch ohne Frage wurde in diesem Vierteljahrhundert viel erreicht. Auch wenn es dem grundsätzlichen Präventionsverständnis – vorbeugend, langfristig/nachhaltig sowie evidenzbasiert – nicht immer gerecht wird, so ist mediale, politische und öffentliche Konjunktur bestimmter Probleme und somit auch von Präventionsthemen (Gewalt, Extremismus, Sucht, Mobbing, sexualisierte Gewalt, Ausschreitungen beim Fußball, Mobbing usw.) zunächst einmal Realität. Diese kann man auch als Chance nutzen; vor manchem Reflex dieser „aufgeregten“ Debatten müssen wir uns auch schützen und die Vorteile wirkungsvoller Prävention ohne aktuellen Anlass aufzeigen.

Für Sachsen kann ich sagen, dass Prävention in den letzten Jahren ausgebaut wurde. Ob man bspw. die Bundesprogramme „Frühe Hilfen“ oder das Feld Extremismusprävention und Demokratiestärkung betrachtet. Oder auch Strategien, die explizit durch den LPR unterstützt werden, wie schulische Prävention über den Ansatz „Prävention im Team“ (www.pit.sachsen.de) oder kommunale Prävention über die Landesstrategie ASSKomm – „Allianz Sichere Sächsische Kommunen“ (www.asskomm.de). Nicht zuletzt auch zu sehen anhand innovativer Leuchttürme wie dem neuen Studiengang „Präventionsmanagement – Kompetenzen für soziale Interventionen – Diversität und Vielfalt durch bedarfsgerechte Präventionsarbeit aktiv mitgestalten“ an der TU/TUCed Chemnitz.

Insgesamt ist vor allem vor Ort im Bewusstsein etwas vorangekommen, bei NGOs, Kommunen, Kommunalverwaltungen und -politik, in Kitas, Schulen und bei Landeseinrichtungen. Trotzdem stehen wir bei einem allgemeinen, flächendeckenden Präventionsverständnis und in den Regelstrukturen umfassend gelebter Prävention noch am Anfang. Mein Bild ist dafür gern ein Prozentwert im einstelligen Bereich von den 90 oder gar 100 Prozent, die wir gern erreichen möchten. Es ist also viel geschafft, der Weg vor uns jedoch noch um ein Vielfaches weiter.

DPT23 – Schwerpunkt Gewalt und Radikalität

In der Prävention sind die Themen immer aktuell. Die Probleme, mit denen wir uns beschäftigen, liegen in der Natur des Menschen. Eine komplett gewalt- oder suchtmittelfreie oder völlig verkehrssichere Gesellschaft wird es nicht geben – dies sind, dies wären, womöglich auch befremdliche Utopien.

Für einige aktuelle Entwicklungen des religiös motivierten Extremismus, das Erstarken von Radikalisierungen im Bereich von s. g. „Wutbürgern“, „Querdenkern“, „Reichsbürgern“ und ähnlichen Strömungen, die sich nicht mehr simpel klassischen Extremismuskategorien zuordnen lassen oder auch bestimmte neue Tendenzen im Linksextremismus kam der DPT23 im Jahr 2018 zu einem guten Zeitpunkt, um sich ausführlich und wissenschaftlich fundiert mit den Themen und Präventionsmöglichkeiten zu beschäftigen. Und dies gerade in Sachsen, was seit vielen Jahren durch einen starken Rechtsextremismus immer wieder in die Schlagzeilen gerät und andersherum, vielerorts über die Jahre gute Entwicklungen in der Bekämpfung und Vorbeugung genommen hat.

„Prävention ab Nabelschnur“

Dieses Zitat des Kinderarztes Jürgen Schmetz vom 4. DPT beseelt auch unsere Sicht auf Prävention. Und trotz guter Umsetzung bspw. des bundesweiten Programms „Frühe Hilfen“ in Sachsen, sind wir an manchen Stellen noch nicht soweit, wie wir gern wären. Bspw. bei unserem LPR-Ansatz „Prävention im Team“ ist der Teil schulischer Prävention im Fokus und der Weg der frühkindlichen Prävention noch weiter ausbaubedürftig. Doch wie sagte mein Vater immer: „mühsam nährt sich das Eichhörnchen“. Mit Geduld kommen wir auch dort weiter voran. Die Herausforderungen vor uns sind größer als das bisher erreichte. Ich denke, wir müssen weiter den Präventionsfokus auf die Regelsysteme legen und nicht so stark in „Sondersystemen“, Modellprojekten, Spezialpräventionsansätzen denken.

Studiengang Präventionsmanagement

Im Jahr 2019 konnte eine innovative Idee endlich ihre Umsetzung beginnen, die Prof. Dr. Udo Rudolph schon viele Jahre vorbereitet hatte. Der berufsbegleitende Studiengang „Präventionsmanagement – Kompetenzen für soziale Interventionen – Diversität und Vielfalt durch bedarfsgerechte Präventionsarbeit aktiv mitgestalten“ an der TU/TUCed Chemnitz als Bachelor- und Masterstudiengang wurde eingeführt. Mit Unterstützung des Bundesfamilienministeriums, des Instituts B3 und ein klein wenig des LPR Sachsen hat Prof. Rudolph mit seinem Team diese Idee in die Tat umgesetzt. Trotz Corona-Pandemie läuft das Studium und erfreut sich guter Nachfrage – und wir freuen uns auf die demnächst fertig ausgebildeten Präventionerinnen und Präventioner. Es braucht unseres Erachtens neben der breiten Prävention der Regelstrukturen auch in manchen Bereichen Spezialistinnen/-en (https://www.tuced.de/studiengaenge/ma-praeventionsmanagement/).

Corona-Pandemie

Die Pandemie bestimmt unser aller Alltag. Und trotz vielfältiger Probleme und großen Leids, hat die Lage auch positive Dinge gebracht: bspw. den Ausbau guter digitaler Kommunikation, das Reduzieren von langen, weiten Dienstreisen, die intensive Online-Dokumentation etc. Der DPT musste davon bei den aktuellen Kongressen Gebrauch machen und auch wir haben unseren 5. LandesPräventionstag Sachsen (LPT5) online durchgeführt.

Der starke Ressourcenansatz zur Pandemiebekämpfung wird jedoch an vielen Stellen Einschränkungen bringen, nahezu zwangsläufig auch für Präventionsansätze.

Und einige gesellschaftliche Entwicklungen sind in der momentanen Krise noch stärker geworden, die auch vorher schon schwer zu bearbeiten waren: demokratiefeindliche Strömungen im Bereich s. g. „Reichsbürger“, „Querdenker“ etc. bis hin zu Gewalt gegen Einsatzkräfte, Schul- und medizinisches Personal von Gegnern der Anti-Corona-Maßnahmen der Politik und Exekutive.

Und was noch ganz unklar ist: welche Auswirkungen werden Lockdowns, Kita-/Schulschließungen und soziale Distanzen bei Kindern und Jugendlichen hinterlassen? Welche neuen Herausforderungen werden auf die Prävention zukommen?

Die nächsten 25 Jahre

Zum Abschluss ziehe ich noch einmal den Kreis, den mich vor allem der DPT und der LPR Niedersachsen in den letzten Jahren gelehrt haben. Der Fokus muss in der Prävention auf dem Stärken der Regelsysteme liegen: Kitas, Schulen, Ausbildungs- und Studiengänge. Das Fundament müssen wirkungsvolle Lebenskompetenzprogramme für alle Kinder sein. Dies durch das Fokussieren auf evidenzbasierte Programme bzw. das Entwickeln solcher, wo diese noch fehlen (oder neue Situationen diese erfordern). Für Sachsen wünsche ich mir bestimmte Themen mit noch mehr Präventionskraft zu versehen, bspw. Kinderschutz vor sexualisierter Gewalt.

Und für das Bewusstsein und die Selbstverständlichkeit der Prävention braucht es Debatten und Symbole, wie den Deutschen Präventionstag – und nicht nur die nächsten 25 Jahre, sondern wohl immer. Danke DPT und weiter so!