Vom 5. bis 7. Mai 1997 wurde der 3. Deutsche Präventionstag im Bonner Gustav-Stresemann-Institut durchgeführt. Er stand unter dem weitgefassten Oberthema „Entwicklungen der Kriminalprävention in Deutschland“.
25 Jahre Deutscher Präventionstag
Ein Beitrag von Günther Ebenschweiger
Initiator und Geschäftsführer des Österreichischen Präventionskongresses und Präsident des Österreichischen Zentrums für Kriminalprävention
Es war einmal …
… ein Polizist in Graz | Österreich, der wollte bei Gewalt nicht mehr zu spät kommen! Er wollte rechtzeitig(er) da sein, Kinder und Frauen schützen, um Gewalt nicht nur zu „verwalten“; und dieser Polizist war und bin ich!
Bereits in den 80er Jahren leitete ich eine Polizeiinspektion in Graz mit hohen Zahlen von „familiärer Gewalt“! Das österreichische Rechtssystem verlangte von uns, erst dann festnehmen zu dürfen, wenn ein mit mindestens einjähriger Freiheitsstrafe bedrohtes Delikt vorlag.
Die Delikte „Körperverletzung“ und „Sachbeschädigung“ waren mit einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedroht und erst bei dem Delikt „gefährliche Drohung“ lag eine einjährige Freiheitsstrafe vor; mit folgender Einschränkung. Dieses Delikt war – wenn es in der Familie begangen wurde – ein „Ermächtigungsdelikt“, d.h. die bedrohte Frau musste eine „Ermächtigung“ dazu unterschreiben, was viele Frauen aus den verschiedensten Gründen ablehnten.
Daraus entstand bei mir eine Art von Hilflosigkeit und auch die Frage „Warum bin ich Polizist geworden, wenn ich Gewalt praktisch nur verwalte?“
Damit wollte ich mich nicht zufrieden geben, begab mich auf die Suche nach Lösungsansätzen und das Schicksal half kräftig mit!
New York und community policing
Zu dieser Zeit besuchten in einem Winter zwei New Yorker Polizisten – Jimmy und Kenneth – Graz. Ihre Großeltern hatten in der Nähe gelebt und sie wollten ihre Wurzeln kennenlernen. Ich traf auf sie und lud sie zu einer Weihnachtsfeier der Polizei ein. Wir hatten noch nie New Yorker Polizisten persönlich getroffen und so war unser aller Interesse an ihrer Arbeit sehr groß.
Das wiederum führte zu einer Einladung von Jimmy und Kenneth, nach New York zu kommen und die Polizei kennen zu lernen. Bereits ein Jahr später flog ich mit Edi – einem Kollegen und Freund – nach New York und wir erlebten ein intensives „Polizei-Programm“, bei dem ich auch mit dem Begriff „community policing“ in Berührung kam.
Das Dezernat Prävention
Zuhause setzte ich mich mit diesem Begriff intensiv auseinander und fand über das Internet heraus, dass es im deutschen Bundeskriminalamt ein „Dezernat Prävention“ gab. Ich nahm per Mail Kontakt auf und es dauerte nicht lange, bis mir „Kollege“ Jürgen Becker antwortete und auf Grund meines Interesses an (Kriminal-)Prävention mich 1997 zum „3. Deutschen Präventionstag“ nach Bonn einlud.
Zu dieser Zeit war die Polizei in Österreich nach „Sicherheitswache“ (uniformierte Polizei) und Kriminalpolizei (zivile Polizei) strikt getrennt. Ich war bereits (Wach-)Kommandant – wie sich das damals nannte – bei der Sicherheitswache und so durfte ich mich als uniformierter Polizist nicht mit Prävention beschäftigen. Das wurde mir in den folgenden Jahren auch vom Ministerium verboten.
Also setzte ich mich in den Zug
Also setzte ich mich als Günther Ebenschweiger völlig unbedarft in den Zug und fuhr nach Bonn zum „3. Deutschen Präventionstag“. Ich kannte niemanden, fiel aber durch meine Sprache sofort auf, wurde sehr herzlich empfangen und konnte erstmals die „KollegInnen“ Jürgen Becker, Jörg Bässmann und Kathrin Obert persönlich kennenlernen.
Für mich war es wie im „Schlaraffenland“, mein Herz schlug höher, denn ich erlebte hervorragende Vortragende und eine Ausstellung zu Präventionsaktivitäten, wie ich sie mir in meinen Träumen nicht hätte vorstellen können.
Ich wurde aktiv
Für mich war klar, ich musste aktiv werden und so ging ich von Stand zu Stand, stellte mich vor und schüttelte viele Hände. Auf eine Frage konnte ich keine Antwort geben: „In welcher Funktion sind Sie hier, Hr. Ebenschweiger?“ Als österreichischer Polizist durfte ich nicht hier sein, also blieb nur zu sagen; als Günther Ebenschweiger, Polizist und an Prävention Interessierter aus Graz, Österreich!
In den vielen folgenden Deutschen Präventionstagen erlebte ich immer wieder sehr viel Unterstützung der deutschen Präventionsakteure und immer einen besonderen Moment: Wenn ich ankam, wurde ich schon von weitem mit den Worten „Der Österreicher ist wieder da!“ herzlich begrüßt, umarmt und gefragt „Was gibt es Neues?“
Dazu konnte ich nicht viel antworten, weil Österreich ist bis heute ein Land geblieben, das – um ein Beispiel von Erich Marks zu nehmen – dem Feuer, der Reparatur von Gewalt und Kriminalität und somit dem Feuerlöscher näher steht, als dem Brandschutz: der Prävention.
Mein Weg zur Prävention
- Meine Koffer waren bei dieser und vielen anderen Heimreisen viel zu klein, für alle Bücher, Forschungen, Spiele, uuu.; d.h. ich nahm bei den folgenden DPT’s immer den größten Koffer nimmt;
- Jörg Bässmann und Susanne Babl schickten mir die Mappe „Kriminalprävention in Deutschland und Europa – Akteure, Modelle und Projekte – Ausgewählte Dokumente aus dem Infopool Prävention“. Diese 161 angeführten Projekte wurden in den kommenden Monaten und Jahren zur wichtigsten Lektüre; auch im Urlaub;
- um nicht immer „nur“ als Günther Ebenschweiger auftreten zu müssen, gründete ich das „Österreichische Zentrum für Kriminalprävention – Verein für Gewaltprävention und Gesundheitsförderung“; der Verein ist gemeinnützig, die ExpertInnen arbeiten ehrenamtlich;
- wir starteten mit „Mein Körper gehört mir“, das Präventionsprogramm gegen sexuellen Kindesmissbrauch in Österreich und haben heute (2021) über 350.000 Kinder, PädagogInnen und Eltern erreicht – mein Dank gilt Anna Pallas und Reinhard Gesse für die Erlaubnis und die jahrzehntelange Freundschaft, die daraus entstanden ist und
- 2008 wurde von mir der 1. Österreichische Präventionspreis mit einer riesigen Anteilnahme von Projekten ins Leben gerufen.
Die Erkenntnis daraus war, dass das Engagement der Österreicherinnen und Österreicher sehr groß, die Qualität von Prävention allerdings sehr klein war. So hatten nur ganz wenige der eingereichten „Präventionsprojekte“ eine Zielformulierung.
Wie also sollte es weitergehen?
Erich Marks und ich waren uns natürlich auf den vergangenen Deutschen Präventionstagen schon mehrfach begegnet, hatten uns freundschaftlich und inhaltlich ausgetauscht; und waren uns näher gekommen.
So fragte ich Erich Marks – zu diesem Zeitpunkt noch per Sie – ob wir uns zum Thema „Österreich und die Prävention“ treffen könnten; und er kam 2008 mit Karla zu mir nach Hausmannstätten und wir „plauderten“ über eine gemeinsame Zukunft.
Der „Österreichische Präventionskongress“ war gedanklich geboren und der 1. Kongress wurde bereits 2009 Realität.
Aus dieser gemeinsamen Zukunft wurde mit Erich Marks eine Freundschaft und: er wurde, war und ist es noch heute mein Mentor, wenn es um Fragen zur Prävention und diesem Umfeld geht.
Erich Marks und seine Vision
Erich Marks hat mit seiner Vision und dem Deutschen Präventionstag eine Vision geschaffen, um Menschen viel Leid zu ersparen.
Nach Paul Watzlawick „Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel“ wurden mit dieser unglaublichen von ihm initiierten und deutschen Initiative Werkzeuge geschaffen, die die Qualität sichern und die tägliche Präventionsarbeit unterstützen.
Laotse sagt: „Selbst eine Reise von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt“ und die ersten 25 Jahresschritte sind erfolgreich gegangen worden.
Prävention ist aber etwas „Lebendiges“, also etwas, das sich mit der Politik, der Gesellschaft, der Globalisierung und ganz besonders mit den Menschen auf diesem Planeten Erde mitentwickeln muss.
Beim Marathon nicht aufgeben
Wir haben das Ende der tausend Meilen noch lange nicht erreicht und befinden uns auch in der (Kriminal-)Prävention – ich würde sagen – im ersten Drittel eines Marathons.
Wir brauchen daher weiterhin ganz viel Kreativität, Visionen, Forschungen, Praxisbezug – ich sage immer, wir müssen die Hemdärmel aufstricken – und Finanzierung, um dieses „Pflänzchen“ (Kriminal-)Prävention weiter zu stärken, an die sich änderten Realitäten anzupassen und Schritt für Schritt dem Ziel – auch den Feuerlöscher nicht mehr zu brauchen –, entgegenzulaufen.
Mein Traum wurde Realität
Als der „Österreicher“ bedanke ich mich bei Erich Marks und allen, die mitgeholfen und mitgewirkt haben, dieses für die Welt einzigartige Programm über so viele Jahre mitzutragen, mitzufinanzieren und mitzuunterstützen; denn damit konnte ich meinen Wunsch – besser meinen Traum – rechtzeitig(er) da zu sein und ganz besonders Kinder und Frauen vor Gewalt zu schützen erst realisieren!