07.07.2022

Die Rückkehr der Knappheit – Wie globale Demografie, Deglobalisierung und Dekarbonisierung Verteilungskonflikte verschärfen

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In ihrem vierten Megatrend-Report beschäftigt sich die Bertelsmann-Stiftung wir uns mit den weltweiten Rahmenbedingungen für den materiellen Wohlstand. Die letzten drei Jahrzehnte waren geprägt von einem weltweiten Wirtschaftswachstum mit einem steigenden Wohlstand. Verantwortlich dafür sind unter anderem eine wachstumsförderliche globale Bevölkerungsentwicklung, die voranschreitende Globalisierung und billig verfügbare Rohstoffe. Alle drei Rahmenbedingungen verändern sich nun jedoch in eine wachstumsdämpfende Richtung. Angesichts einer weiter steigenden Weltbevölkerung drohen für die Zukunft zunehmende Knappheiten – und damit wachsende Verteilungskonflikte.

Seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 haben die Zentralbanken erhebliche Geldmengenausweitungen vorgenommen. Dennoch konnten die entwickelten Volkswirtschaften in dieser Zeit Inflationsraten verzeichnen, die meistens unter zwei Prozent lagen, z. T. sogar deutlich darunter. Eine Knappheit im Sinne eines gesamtwirtschaftlichen Nachfrageüberhangs auf den Gütermärkten mit entsprechenden Preissteigerungen trat dabei nicht auf. Grund dafür sind die wachstumsfreundlichen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen der letzten drei Jahrzehnte. Zu ihnen gehören

  • eine Weltbevölkerung mit einer wachstumszuträglichen Altersstruktur, allen voran ein steigender Anteil der Menschen im erwerbsfähigen Alter an der Gesamtbevölkerung,
  • billige natürliche Rohstoffe und Energieträger sowie
  • eine voranschreitende Globalisierung, die zu Spezialisierungsgewinnen aus der internationalen Arbeitsteilung führte.

Wachstumsdämpfende Effekte nehmen zu

Perspektivisch ist jedoch in vielen wirtschaftlichen Bereichen mit der Zunahme von Knappheit zu rechnen, weil sich diese Einflussgrößen nun verändern. Mit der weltweiten Alterung der Bevölkerung im Zuge des demografischen Wandels werden Arbeitskräfte knapp. Auch nicht erneuerbare Rohstoffe werden zunehmend knapp und teurer. Zudem bedeuten die Deglobalisierungstendenzen infolge der Coronapandemie und des Ukrainekrieges den Verzicht auf Spezialisierungsgewinne aus der internationalen Arbeitsteilung.

Dies sind wachstumsdämpfende Entwicklungen, die zu Rückgängen des weltweiten Güterangebots führen, dabei aber auf eine Weltbevölkerung treffen, die weiterwächst und deshalb mehr Konsumgüter benötigt. Vor allem mit Blick auf Nahrungsmittel sind zukünftig Knappheiten zu befürchten, weil die für ihre Herstellung benötigten Flächen nicht beliebig vergrößerbar sind und der Klimawandel zu geringeren Ernteerträgen führt. Gleiches gilt für die Versorgung mit Trinkwasser.

Fünf wirtschaftspolitische Handlungsoptionen

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sieht der Report fünf Handlungsempfehlungen:

  1. Wenn produktive Ressourcen knapp werden, lässt sich die Menge der verfügbaren Konsumgüter durch Produktivitätssteigerungen erhöhen. Zu denken ist dabei an höhere Investitionen in das Humankapital, an eine Intensivierung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten, an höhere private und öffentliche Investitionen sowie an die Forcierung der Digitalisierung.
  2. Eine Verringerung der Knappheit ergibt sich aus Maßnahmen, die die Erwerbsbeteiligung der Menschen im erwerbsfähigen Alter erhöhen und so dem demografisch bedingten Arbeitskräftemangel entgegenwirken. Dafür bietet sich z. B. eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung durch eine bessere Bildung und einen besseren Gesundheitszustand an.
  3. Um die Kosten für die zur Abmilderung des Klimawandels zwingend erforderliche Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft so gering wie möglich zu halten, sollten Deutschland und Europa auch auf Leistungen aus dem Ausland zurückgreifen. Denkbar ist beispielsweise der Import von erneuerbaren Energien und klimaneutralem Wasserstoff aus Ländern mit viel Sonnen-, Wind- und Wasserenergie.
  4. Solange diese Maßnahmen ohne Erfolg bleiben und reale Knappheiten zu höheren Preisen führen, sollten steigende Konsumgüterpreise durch sozialpolitische Maßnahmen flankiert werden – ansonsten drohen soziale Spannungen. Preisbremsen sind dabei allerdings nicht sinnvoll, vielmehr sollte auf bedarfsorientierte Transferzahlungen gesetzt werden.
  5. Um physische Knappheiten zu verringern und z. T. gar nicht erst entstehen zu lassen, bietet sich die Forcierung eines ressourcenschonenden Konsumverhaltens an. Das Hauptinstrument zur Veränderung des Nachfrageverhaltens sind Preise. Daneben bewirkt aber auch ein Präferenz- bzw. Wertewandel eine Änderung der Konsumverhaltens. Ein Präferenzwandel der Menschen kann durch sanfte Anstöße, durch ein sogenanntes „Nudging“, verstärkt werden.
Ein Service des deutschen Präventionstages.
www.praeventionstag.de

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