03.09.2024

Kreativ, mitreißend und kompetent - Anna Pallas wird fehlen

Anna Pallas lernte ich in der Schlange vor dem Kaffeeautomaten bei einer Tagung kennen. Wir hatten Blickkontakt und ich platzte raus, was mir in den Kopf schoss: „Ich habe dich neulich im Fernsehen gesehen – du hast ein lustiges Kinderlied gesungen“. Anna reagierte leicht verstimmt – verständlicherweise, wie ich dann begriff. Die Kaffeepause reichte knapp, um mich auf Ballhöhe zu bringen: Ich hatte nämlich nur einen kleinen Ausschnitt der TV-Reportage gesehen, die das von Anna Pallas und Reinhard Gesse entwickelte Präventionstheater-Programm „Mein Körper gehört mir!“ vorgestellt hatte.  Diesen Kontext hatte ich also nicht verstanden. Aber ich bekam eine zweite Chance, Anna Pallas lud mich zu einer Aufführung ein. Wie viele andere Fachkräfte war ich auf Anhieb angerührt und begeistert davon, wie „Mein Körper gehört mir!“ das Thema „sexualisierte Gewalt“ und Kinderrechte auf Schutz und Hilfe auf den Punkt bringt. Die Szenen waren und sind großartig gelungen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Anna Pallas und ihre Teams bei der theaterpädagogischen werkstatt über Jahrzehnte engagiert am Thema geblieben sind, das „Stück“ stetig an die dynamischen Veränderungen des Aufwachsens und neue fachliche Erkenntnisse angepasst und zu einem Präventionsprogramm weiterentwickelt haben. „Mein Körper gehört mir!“ haben inzwischen etwa 6 Millionen Kinder gesehen, mehrere Hundert freie Mitarbeiter*innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben es umgesetzt, vor Kindern gespielt, im Gespräch mit Eltern, Lehrkräften und Schulsozialarbeiter*innen die Inhalte vorgestellt und diskutiert. Das Stück ist evaluiert und preisgekrönt – und ein vielerorts nicht mehr wegzudenkendes Element von Präventionsarbeit in Grundschulen.

In einem Interview mit der Fachzeitschrift „Kindesmisshandlung und -vernachlässigung“ sagte Anna Pallas über die Startphase von „Mein Körper gehört mir“ in den 1990er Jahren: „… dann hat es mich so richtig gepackt, dieses Thema. Ich habe so richtig gespürt, dass das mein Weg war.“  Und ich bin überzeugt, dass das jede* spüren konnte, der/die mit Anna Pallas in Kontakt war: Kinderschutz, Kinderrechte, Selbstbestimmung und ein gewaltfreies Leben für alle Kinder – das war ihre Mission. Ihr Gespür für die Sehnsüchte und Sorgen von Kindern und Jugendlichen und ihre theaterpädagogische Professionalität waren Grundlage und Ausgangspunkt für eine jahrzehntelange erfolgreiche Präventionsarbeit. Nach dem klugen und engagierten „Mein Körper gehört mir!“, das Anna Pallas und Reinhard Gesse im Rahmen einer ABM-Stelle in Osnabrück entwickelt hatten, bauten sie die theaterpädagogische werkstatt auf. In zahllosen Fachveranstaltungen – unter anderem beim Deutschen Präventionstag – hat Anna Pallas Präventionsarbeit lebendig gemacht und mit Sachverstand und Charisma dafür begeistert. Ihre Kreativität war ebenso umwerfend wie ihre Kooperationsbereitschaft. Sie hat Konzepte erfunden, gestaltet – und großzügig geteilt. Ich durfte zweimal ein Projekt mit ihr und ihren Kolleg*innen bei der tpw umsetzen und habe von ihrer Kompetenz und Kollegialität dabei sehr profitiert. 

Anna Pallas initiierte und entwickelte in über 30 Jahren zahlreiche Präventionsprojekte – vielfach zum Thema sexualisierte Gewalt, aber auch zu anderen thematischen Facetten der Gewaltprävention – immer mit einem klaren Blick auf zentrale Aspekte eines gewaltfreien (Zusammen-)Lebens. Sie war eine inspirierende und motivierende Gesprächs- und Kooperationspartnerin für viele Menschen in diesem Arbeitsfeld. Und sie hat sich auch ehrenamtlich für ihre Themen engagiert, insbesondere im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung, -vernachlässigung und sexualisierte Gewalt e.V. (DGfPI).

Anna Pallas hat als Prinzipalin der tpw ein großartiges Lebenswerk geschaffen. Das wird bleiben und nun von ihren Kolleg*innen fortgeführt. Anna Pallas ist mit ihrem umfassenden Engagement für den Kinderschutz ein motivierendes Vorbild – auch das wird bleiben. Und sie wird sehr fehlen.

Andrea Buskotte (Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen bis 6/2024)

Ein Service des deutschen Präventionstages.
www.praeventionstag.de

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