Inobhutnahmen im Jahr 2022 wieder stark gestiegen: 40 % mehr Fälle als im Vorjahr
- Unbegleitete Einreisen aus dem Ausland lassen Inobhutnahmen um 17 300 Fälle stark ansteigen
- Zur Entwicklung trugen aber auch dringende Kindeswohlgefährdungen und Selbstmeldungen von Kindern und Jugendlichen bei (+5 % bzw. +4 %)
- Fast jeder zweite Fall konnte nach spätestens zwei Wochen beendet werden
Schon im Zuge der Fluchtmigration ab 2015 waren die Fallzahlen durch das Aufkommen an unbegleitet eingereisten Minderjährigen stark gestiegen. Damals wurde der Höchststand im Jahr 2016 mit rund 84 200 Inobhutnahmen erreicht, darunter waren rund 44 900 Fälle nach unbegleiteten Einreisen. Als Reaktion darauf führte der Gesetzgeber ein neues Verfahren ein, wonach die Betroffenen unmittelbar nach der Einreise zunächst vorläufig in Obhut genommen werden, um sie anschließend auf alle Jugendämter im Bundesgebiet zur regulären Inobhutnahme zu verteilen. Obwohl ab 2017 beide Verfahren in der Statistik zählen – sowohl vorläufige als auch reguläre Inobhutnahmen nach unbegleiteter Einreise – waren die Fallzahlen seitdem zunächst gesunken. Erst 2021 setzte ein erneuter Anstieg ein, der nun im Jahr 2022 zu 28 600 Inobhutnahmen nach unbegleiteter Einreise führte. Davon waren 19 100 vorläufige und 9 500 reguläre Inobhutnahmen.
Angaben zu den Herkunftsländern der unbegleitet eingereisten Minderjährigen liegen der Kinder- und Jugendhilfestatistik nicht vor. Aus dem aktuellen „Bericht der Bundesregierung über die Situation unbegleiteter ausländischer Minderjähriger in Deutschland“ geht allerdings hervor, dass die meisten unbegleitet eingereisten Minderjährigen in den Jahren 2021 und 2022 aus Afghanistan und Syrien kamen. Die Ukraine spielte demnach im Jahr 2022 als Herkunftsland offenbar eine eher untergeordnete Rolle.
Anstieg auch aufgrund von dringenden Kindeswohlgefährdungen und Selbstmeldungen
Zum aktuellen Anstieg haben aber noch weitere Entwicklungen beigetragen: Nach einem Rückgang in den Corona-Jahren 2020 und 2021 nahmen 2022 auch erstmals wieder die Inobhutnahmen wegen dringender Kindeswohlgefährdung zu -und zwar um 1 300 Fälle oder 5 %. Außerdem wandten sich 2022 wieder mehr Kinder und Jugendliche selbst mit der Bitte um eine Inobhutnahme an das Jugendamt (+300 Fälle bzw. +4 %).
Insgesamt haben die Jugendämter damit 2022 die meisten Inobhutnahmen - nämlich rund 29 800 Fälle - wegen dringender Kindeswohlgefährdungen durchgeführt. In 28 600 Fällen handelte es sich um Inobhutnahmen nach unbegleiteten Einreisen und in 8 000 Fällen hatten die betroffenen Minderjährigen selbst um Inobhutnahme gebeten.
Auch Bedeutung von Vernachlässigungen, Misshandlungen und Delinquenz wächst
Infolge der Entwicklungen wurde die unbegleitete Einreise im Jahr 2022 auch bei den insgesamt 13 möglichen Anlässen für eine Inobhutnahme mit Abstand am häufigsten genannt (43 %). Die Überforderung der Eltern – im Vorjahr noch an erster Stelle der möglichen Anlässe – rückte dadurch 2022 auf Rang 2 (26 %). Dahinter folgten Anzeichen für Vernachlässigungen (11 %) und körperliche Misshandlungen (10 %). Dabei waren die betroffenen Jungen oder Mädchen vor der Inobhutnahme in knapp jedem fünften Fall (18 %) von Zuhause ausgerissen.
Bei insgesamt 10 der 13 möglichen Anlässe für eine Inobhutnahme sind die Fallzahlen 2022 gestiegen. Abgesehen von der unbegleiteten Einreise waren die stärksten Anstiege bei Anzeichen für Vernachlässigungen (+928 Nennungen, +14 %), körperlichen Misshandlungen (+592 Nennungen, +10 %) und Delinquenz oder Straftaten der Minderjährigen (+517 Nennungen, +17 %) zu verzeichnen.
Fast jede zweite Inobhutnahme konnte nach spätestens zwei Wochen beendet werden
Die meisten betroffenen Jungen oder Mädchen wurden vor der Inobhutnahme von beiden Eltern gemeinsam (25 %), einem alleinerziehenden Elternteil (17 %) oder in einem Heim betreut (12 %). Bei etwa einem Fünftel (21 %) war der vorherige Aufenthalt unbekannt, das trifft insbesondere auf unbegleitet Eingereiste zu. Fast jede zweite Inobhutnahme (48 %) konnte nach spätestens zwei Wochen, jede dritte (33 %) nach einer Woche beendet werden. Dennoch: Gut jede zehnte Inobhutnahme dauerte mit drei Monaten oder mehr vergleichsweise lang (11 %).
Nach Beendigung der Maßnahme kehrte über ein Drittel der Kinder und Jugendlichen (37 %) an den bisherigen Lebensmittelpunkt - zu den Sorgeberechtigten, in die Pflegefamilie oder das Heim - zurück. Gut ein weiteres Drittel (36 %) bekam ein neues Zuhause in einer Pflegefamilie, einem Heim oder einer betreuten Wohnform.
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