16.06.2024

Sachverständige uneins zu Gesetzentwurf zu Minderjährigenehe

Aktuelles aus dem Deutschen Bundestag

(hib/MWO) Ein Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zum Schutz Minderjähriger bei Auslandsehen (20/11367) war Thema einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses am 3.06.2024. Die zehn Sachverständigen begrüßten die Vorlage, deren Bewertungen fielen jedoch unterschiedlich aus. Die meisten Vertreter der Rechtswissenschaft lehnten den Entwurf ab, während er von den Sachverständigen aus der Praxis unterstützt wurde. 

Hintergrund des Entwurfs ist ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 1. Februar 2023, mit dem die Regelung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17. Juli 2017 über die inländische Unwirksamkeit einer im Ausland wirksam geschlossenen Ehe mit einer Person, die bei der Eheschließung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt wurde. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, bis zum 30. Juni 2024 eine Neuregelung zu treffen.

Gerhard Bangert, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Standesbeamtinnen und Standesbeamten (BDS), begrüßte in seiner Stellungnahme den Entwurf grundsätzlich, da sein Inhalt weitestgehend den Vorschlägen des BDS entspreche. Die Einbindung der Heilungsmöglichkeit der unwirksamen Ehe in das Personenstandswesen und die damit vorhandenen Prozesse sei mehr als sinnvoll. Leider bleibe der Entwurf hinter den Vorschlägen zurück. Mängel beträfen die standesamtliche Praxis, wie Bangert in seiner schriftlichen Stellungnahme erläuterte.

Für die Deutsche Kinderhilfe schaffe die Neuregelung im Hinblick auf den Minderjährigenschutz Rechtssicherheit in wichtigen Punkten, erklärte deren Ehrenvorsitzender Rainer Becker. So könne durch die nun nahtlos auf die Unwirksamkeit von Ehen mit unter 16-jährigen Partnern nach Eintritt der Volljährigkeit vorgesehene Heilungsmöglichkeit der freie Wille des minderjährig Verheirateten ermittelt werden. In den Details gebe es allerdings noch Probleme. Entscheidend sei aber, dass durch das neue Gesetz die Gefahr des Verlustes beziehungsweise des Nichtbestehens von Renten-, Unterhalts- und Erbansprüchen, der Nichtehelichkeit aus der Beziehung hervorgegangener Kinder und des Wegfalls des Sorgerechts des Ehemanns für die gemeinsamen Kinder geheilt wird.

Auch Myria Böhmecke von der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes sah noch Anpassungsbedarf in vielen Punkten, begrüßte jedoch, dass an der generellen Nichtigkeit von Ehen, die mit mindestens einer unter 16-jährigen Person im Ausland geschlossen wurden, festgehalten werde. Die Unwirksamkeitslösung sei ein wirksames Instrument, um Mädchen vor den potenziellen negativen Folgen einer Frühehe zu schützen. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts habe bestätigt, dass es grundsätzlich nicht verfassungswidrig ist, wenn der Gesetzgeber feste Altersgrenzen festlegt und anordnet, dass beim Unterschreiten dieses Mindestalters die Ehe ohne Einzelfallprüfung nichtig ist. Ihre Organisation spreche sich gegen Einzelfallentscheidungen aus, da diese gerichtliche Verfahren erforderten, die oft mit großen psychischen Belastungen für die betroffenen Mädchen einhergingen.

Anatol Dutta von der Ludwig-Maximilians-Universität München erklärte, es sei schwer, als Rechtswissenschaftler konstruktiv zu dem vorliegenden Gesetzesentwurf Stellung zu nehmen. Der Gesetzgeber habe bei der Regulierung von Minderjährigenehen von Anfang an die Ratschläge nahezu der gesamten Familienrechtswissenschaft in den Wind geschlagen. Und auch in der heutigen Anhörung würden wahrscheinlich weder die anderen Sachverständigen aus der Familienrechtswissenschaft noch er den Rechtsausschuss davon überzeugen können, dass die rigide Unwirksamkeitslösung ungerecht ist und dem bei der Eheschließung Minderjährigen vor allem Rechte und Schutz entzieht. Als einen Punkt nannte Dutta die fehlenden abstammungsrechtlichen Folgen der unwirksamen Ehe für Kinder des Paares, die im Zeitraum zwischen Eheschließung und der frühesten Möglichkeit einer Heilung geboren werden

Sophie Funke vom Deutschen Institut für Menschenrechte begrüßte die Vorlage des Entwurfs innerhalb der vorgesehenen Frist. Allerdings könne der Entwurf aus kinderrechtlicher Perspektive nicht überzeugen. Aus Sicht des Instituts sei das Ziel, Minderjährigenehen zu vermeiden, getrennt von der Behandlung der Wirksamkeit einer nach ausländischem Recht bestehenden Ehe zu betrachten. Solange es ein globales Ehemündigkeitsalter nicht gebe, sei aus kinderrechtlicher Perspektive für die inländische Bewertung einer im Ausland bereits geschlossenen und dort wirksamen Ehe Minderjähriger eine Einzelfallprüfung in einem gerichtlichen Verfahren mit ergänzender und unterstützender Einbeziehung der Kinder- und Jugendhilfe geboten. Zu begrüßen sei, dass der Entwurf einigen der Schutzlücken betreffend Unterhaltsansprüchen zum Schutz der minderjährigen Person und die Möglichkeit der Heilung der Ehe bei Erreichen der Volljährigkeit begegnet.

Für den Kinderschutzbund Bundesverband begrüßte Beate Naake ausdrücklich, dass Auslandsehen mit Personen unter 16 Jahren weiterhin in Deutschland automatisch unwirksam bleiben sollen. Insoweit unterstütze der Kinderschutzbund die nun neu vorgesehenen Folgeregelungen zu Unwirksamkeit und Unterhalt. Gerade in Ehen mit Kindern unter 16 Jahren bestehe oft eine massive finanzielle Abhängigkeit der Minderjährigen, die unbedingt und uneingeschränkt aufgefangen werden müsse. Der vorliegende Gesetzentwurf erfülle diesen Anspruch nun deutlich besser als die aktuelle Rechtslage. Auch die Regelung, dass mit Erreichen der Volljährigkeit die Unwirksamkeit „geheilt“ werden kann, halte der Kinderschutzbund für angemessen und fachgerecht.

Bettina Heiderhoff von der Universität Münster meinte, mit dem Gesetzentwurf habe die Koalition nur die absoluten Minimalanforderungen des BVerfG-Beschlusses erfüllen wollen. Vorgaben des BVerfG zum Schutz der minderjährigen Frau würden nicht erfüllt. Im Gegenteil sei der Entwurf weiterhin sehr günstig für die Ehemänner und helfe den betroffenen Frauen kaum. Als einziges Element zum sozioökomischen Schutz erhalte die Frau einen Unterhaltsanspruch. Doch werde dabei übersehen, dass deutsches Unterhaltsrecht oftmals gar nicht anwendbar sei. Noch schwerer wiege es, dass statt der vom BVerfG verlangten Heilungsmöglichkeit für die Ehefrau nur eine gemeinsame Wiederheirat möglich sein soll. Heiderhoff schlug drei Alternativen vor, mit denen die Frauen weit besser geschützt wären als nach dem vorliegenden Entwurf. 

Katharina Lugani von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf stellte ihrer Stellungnahme voran, dass Familienrechtler in Geschlossenheit und mit großem Nachdruck davon abrieten, den Entwurf so zu verabschieden. In der Sache schließe sie sich den Ausführungen Duttas und Heiderhoffs an, wolle aber auch einige kollisionsrechtliche Defizite benennen. So schütze der Entwurf die Minderjährigen nur, wenn deutsches Unterhaltsrecht zur Anwendung komme, also nicht auch dann, wenn ein deutsches Gericht zu dem Ergebnis gelange, dass ausländisches Unterhaltsrecht Anwendung findet. Positiv sei, dass der Gesetzgeber bemüht sei, innerhalb der vom BVerfG gesetzten Frist eine Neuregelung zu schaffen und die minderjährigen Personen zu schützen. Der Änderungsantrag vom 31. 5. 2024 betreffe nur zum Teil das Minderjährigenehengesetz und behebe lediglich kleinere Probleme.

Unterstützung für den Entwurf kam vom Deutschen Städtetag. Dessen Vertreterin Regina Offer unterstrich die Bedeutung der Unwirksamkeitslösung. Die Ergänzung einer Regelung zum Unterhaltsanspruch und eine Heilungsmöglichkeit, sobald die Volljährigkeit der Ehepartner erreicht ist, sei notwendig. Die Unwirksamkeit der im Ausland geschlossenen Ehe mit einer zum Zeitpunkt der Eheschließung noch nicht 16-jährigen Person sei eine wichtige rechtliche Grundlage vor allem für den Schutz minderjähriger Mädchen vor einer Zwangsehe. Mit Blick auf die vorgeschlagene nachträgliche Heilung der Unwirksamkeit der Ehe teile der Deutsche Städtetag die Auffassung, dass eine einzelfallbezogene Lösung so missverstanden werden könnte, als sei die Eheschließung mit Minderjährigen unter bestimmten Umständen doch rechtlich akzeptabel.

Gregor Thüsing von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn konstatierte in seiner Stellungnahme, dass der Entwurf „rechtspolitisch vermintes Gelände“ betreffe und kontrovers diskutiert werde. Der Gesetzentwurf habe den Auftrag des BVerfG erfüllt, aber es gebe auch Einige, die mehr forderten. Aus seiner Sicht sei das Gesetz gelungen und gehe richtige Schritte. Dabei scheine es auch mit Hinblick auf die Rechtsprechung und eine etwaige Signalwirkung richtig und konsequent, die Ehe mit Minderjährigen grundsätzlich als unwirksam zu behandeln und allein unterhaltsrechtliche Ansprüche zu normieren. Zusätzlich könnten weitere Schritte erwogen werden. So schienen sämtliche Fragen und Probleme zur Vaterschaft nicht aufgegriffen worden sein.

Bangert, Becker und Thüsing waren auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion zur öffentlichen Anhörung eingeladen, Funke und Heiderhofff von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Lugani und Naake von der FDP-Fraktion und Böhmecke, Dutta und Offer von der SPD-Fraktion.

Die Fragen der Abgeordneten betrafen vor allem die praktische Relevanz des Entwurfs, mögliche internationale Rechtsprechungsprobleme, die Vor- und Nachteile von Unwirksamkeit einer solchen Ehe und Aufhebungslösung, Probleme bei der Wiederverheiratung sowie beim Unterhalt minderjähriger Ehepartner beziehungsweise deren Kinder.

Nach dem Entwurf bleibt es dabei, dass eine Ehe unter Beteiligung einer Person, die bei der Eheschließung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, nach deutschem Recht unwirksam ist. Laut Entwurf wird diese Rechtsfolge jedoch um Unterhaltsansprüche zum Schutz der minderjährigen Person und die Möglichkeit der Heilung durch erneute Eheschließung unter Verzicht auf das Erfordernis der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses ergänzt. Diese erneute Eheschließung entfalte aufgrund ihres bestätigenden Charakters grundsätzlich Rückwirkung auf den Tag der unwirksamen Eheschließung, so der Entwurf. 

Der Rechtsausschuss hatte Ende Mai einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zu dem Entwurf beschlossen. Danach hält es der Ausschuss für erforderlich, bestimmte Vorschriften des Gesetzentwurfs zu ändern, um den Schutz Minderjähriger bei Auslandsehen zu verbessern. Die Änderungen sähen unter anderem vor, dass der nicht wirksam verheiratete Unterhaltsberechtigte in der Rangfolge einem Ehegatten gleichgestellt wird, dass die Unterhaltsansprüche zugunsten der bei der Eheschließung noch nicht 16-jährigen Person als Unterhaltssachen der Zuständigkeit des Familiengerichts unterfallen, und dass die Neuregelungen betreffend Folgen und Heilung unwirksamer Minderjährigenehen innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes evaluiert werden sollen.

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